Freitag, 9. November 2012

Die Gretchenfrage der Psycho-Pokémon


(Quelle)

Natürlich bezieht sich der Titel auf nichts anderes als Psychokinese und Psychoschock, denn die sind tatsächlich irgendwie Religionen, wo beide gleichermaßen benutzt werden und ihre wahre Wirkung insbesondere im Vergleich zueinander wenig dokumentiert ist. Was mich selbst angeht, ich hab die ganzen anderthalb Jahre lang, die BW draußen ist, ausschließlich Psychokinese benutzt, aus zwei Gründen: Sie hat grundsätzlich erstmal 10 Punkte mehr Stärke und zu 10% einen nicht unbrauchbaren Nebeneffekt, was Psychoschock auf dem Papier klar schlechter dastehen lässt. Psychoschock würde, um sich zu lohnen, ein dazu passendes Metagame brauchen, aber ob man so ein passendes Metagame überhaupt hat, das kann man ohne nachzurechnen kaum wissen... In diesem Sinne: Für den Eintrag heute hab ich mal ein bisschen gerechnet.

Theorie

Bevor ich aber stur mit irgendwelchen Metagame-Mons herumrechne, fang ich mit einem interessanten Fakt an: Gegen Kapoera ohne Wesen und Fleißpunkte in beiden Verteidigungswerten sind Psychokinese und Psychoshock auf den Punkt genau gleich stark. Die konkreten Verteidigungswerte wären in dem Fall 115 und 130. Aber versuchen wir's mal zu verallgemeinern. Allgemein gilt für den Schaden auf Level 50:

Psychokinese = (22 * 90 * SpAngr / SpVer / 50 + 2) * Modifizierer
Psychoschock = (22 * 80 * SpAngr / Ver / 50 + 2) * Modifizierer

Wer noch nicht alles aus dem Matheunterricht vergessen hat, erkennt natürlich ein Gleichungssystem. Für den genannten Kapoera könnte man die Gleichungen gleichsetzen, aber wie gesagt, wir wollten ja viel lieber über den beliebigen Fall etwas lernen. Unser Ziel ist es, herauszufinden, was gelten muss, damit Psychoschock stärker als Psychokinese wird, sprich, wir schauen uns das folgende Verhältnis an (X und Y seien einfach Abkürzungen der ausgeschriebenen Formeln, wollte es in einer Zeile haben):

X = Psychokinese < Psychoschock = Y

Die Modifizierer sind in beiden Fällen gleich (und arithmetisch positiv natürlich), also können wir die schonmal rauskürzen. Ebenso können wir die Division durch 50 und Addition von 2 direkt davor vernachlässigen; dann erhalten wir:

22 * 90 * SpAngr / SpVer < 22 * 80 * SpAngr / Ver

Immer noch ein bisschen voll, aber wir nähern uns der Sache. Wir können durch Spezial-Angriff und den Level-Faktor am Anfang teilen – danach haben wir nur noch genau die Elemente in der Ungleichung, die den Unterschied zwischen den beiden Attacken ausmachen.

90 / SpVer < 80 / Ver

Das können wir jetzt noch ein bisschen weiter umformen, bis wir einen aussagekräftigen Quotienten haben, in den wir dann nur noch die beiden Verteidigungswerte des Ziels einsetzen müssen, um zu testen, ob Psychoschock dagegen stärker ist oder nicht.

SpVer / Ver > 90 / 80 = 1,125

Klingt praktisch und merkt sich leicht, aber funktioniert es? Leider nicht ganz, leider nicht ganz... Wenn wir 130 und 115 einsetzen (zur Erinnerung: für diese Werte sind die Attacken gleich stark), erhalten wir ca. 1,13, was offensichtlich größer ist als 1,125. Diese Ungenauigkeit kommt dadurch zustande, dass der Schaden durchweg nur mit ganzzahligen Operationen berechnet wird. Meine Umformungen sind deswegen letztendlich auch keine Äquivalenzumformungen mehr gewesen, sondern nur eine Approximation. Nehmen wir uns doch einfach mal Latios her und lassen den gegen Kapoera antreten:

Psychokinese = (22 * 90 * 182 / 130 / 50 + 2) * Modifizierer
Psychoschock = (22 * 80 * 182 / 115 / 50 + 2) * Modifizierer

Psychokinese = (360360 / 130 / 50 + 2) * Modifizierer
Psychoschock = (320320 / 115 / 50 + 2) * Modifizierer

Psychokinese = (2772 / 50 + 2) * Modifizierer
Psychoschock = (2785 / 50 + 2) * Modifizierer

Psychokinese = (55 + 2) * Modifizierer
Psychoschock = (55 + 2) * Modifizierer

Da! Nach den ersten Berechnungsschritten liegen die beiden Attacken offenbar noch ein gutes Stück auseinander, aber dann kommt diese Division durch 50 daher und schmeißt sie bildlich gesprochen in eine einzige Schublade. Es ist zweimal dieselbe Operation, nämlich die Division durch 50, und sie nimmt zwei verschiedene Eingaben, nämlich die Ergebnisse der vorherigen Rechenschritte, und als Ausgabe kommt plötzlich etwas raus, das für beide gleich ist. Aus diesem Grunde kann diese intuitive Formel leider nur zum Überschlagen verwendet werden! Wie dem auch sei, proportial ist das Ganze natürlich noch, also je weiter man sich von der ermittelten Konstante entfernt, desto größer wird der Unterschied in der Wirkung der Attacken. Entsprechend erhebe ich als informelles Kriterium für einen Psychoschock, der stärker als Psychokinese ist:

SpVer / Ver >> 1,125

Das doppelte Größergleich stehe dann also dafür, dass der Verteidigungsquotient signifikant größer ist. Wenn wir bei Kapoera bleiben wollen, dann nehmen wir uns zum Vergleich mal den von Wolfe G.: 126 Verteidigung und 165 Spezial-Verteidigung; 165 durch 126 gibt etwa 1,31 und ist schon deutlich größer als 1,125. Wenn wir eine offensive Cresselia mit maximalem Spezial-Angriff, Kraftreserve Feuer und ohne Item (Realwert 138) darauf loslassen, dann kommen wir laut Kalashnikov-Rechner auf 86 bis 104 für Psychokinese respektive 102 bis 120 für Psychoschock. Das geht schon recht gut auseinander; ganz grob gesprochen ist da das Minimum des einen schon das Maximum des andern. Wenn wir das nun noch um ein Wahlglas erweitern, überlappen die beiden Intervalle einander immer noch knapp, aber werden an den äußeren Enden weiter. Das ist jetzt aber nur ein sehr plakatives Beispiel und für die Allgemeinheit lässt sich daraus nichts folgern. Ich überlasse das mal den ausgebildeten Mathematikern, denn Grenzwertbetrachtungen sind noch nie mein Hobby gewesen und die eigentliche Frage war ja genau schlicht und einfach, welche Attacke besser ist – also nicht wie viel besser, sondern einfach nur besser.

Praxis

Also gut, dann wenden wir den Verteidigungsquotienten doch mal aufs Metagame an. Die Datenquelle für diesen Eintrag sollen einfach mal die Reports auf Nugget Bridge sein – da sind sowohl die Teams von Weltklasse-Spielern zu finden als auch welche vom grauen Mittelmaß und in beiden „Klassen“ sind jeweils sowohl besonders ausgefeilte als auch arg primitive EVs zu finden, also eine bunte und gesunde Mischung unterm Strich. Gesund natürlich auch insbesondere deshalb, weil die Spielerqualität in dem Sample zahlenmäßig überwiegt und es ist ja gerade am interessantesten, welche Figur man gegen das Material der Besten der Welt machen würde (spätestens seitdem das auch gern mal von Leuten kopiert wird, die es nichtmal verstehen...).

Zur Erinnerung: Ist der Quotient nah an 1,125, dann sind Psychokinese und Psychoschock ungefähr gleich stark. Wird er größer, wächst der Vorteil von Psychoschock, und wird er kleiner, ist dann doch Psychokinese besser. (Hab es auch noch farblich manuell ein bisschen visualisiert, falls das hilft, wenn ich auch längst weiß, dass es eine furchtbar miese Visualisierung ist, wenn's den Begriff überhaupt verdient, haha.) Ich filter natürlich nur tatsächlich sinnvolle Ziele heraus und versuche, gleiche oder ähnliche Verteilungen nicht mehrfach aufzuführen. 0/0-Kapoera – er kommt durchaus vor – lass ich gleich raus, denn wer hier wirklich gelesen hat, der weiß so schon, was bei dem Sache ist. Schwächere IVs als 30 (teils werden in den Artikeln welche genannt) ignoriere ich hier, weil es sinnvoll ist, grundsätzlich von 30 bis 31 auszugehen.

Team-Eigentümer, Turnier(e) Pokémon Ver SpVer SV/V
Scott G., US Nationals Ramoth 86 (4) 153 (220) 1,78
Kapoera 115 138 (60) 1,2
Zapdos 105 117 (56) 1,114
Gastrodon 97 (68) 108 (44) 1,113
Dillon O., US Nationals Sichlor 157 (36) 151 (4) 0,96
Regice 140 (160) 220 1,57
Folipurba 150 99 (112) 0,66
Rotom-H 147 (156) 127 0,86
Tony C., kanadischer Meister Rotom-W 128 (4) 128 (4) 1
Garados 100 (4) 125 (36) 1,25
Cassie F., US Nationals Gastrodon 91 (20) 118 (128) 1,3
Skelabra 110 115 (36) 1,05
Rexblisar 95 105 1,105
Skaraborn 95 115 1,21
Randy K., CA Nationals Quaxo 95 120 1,26
Kappalores 90 121 (4) 1,34
Gastrodon 100 (92) 111 (68) 1,11
Brutalanda 101 (4) 101 (4) 1
Ramoth 91 (48) 134 (68) 1,47
Marco S., US Nationals Togekiss 124 (68) 174 (188+) 1,4
Knakrack 115 105 0,91
Luke S., US Nationals Garados 117 (140) 123 (20) 1,05
Demeteros 110 100 0,91
Zapdos 105 127 1,21
Wolfe G., Vizeweltmeister Voltolos 90 138 (204+) 1,53
Kapoera 126 (84) 165 (156+) 1,31
Terrakium 110 110 1
Huy H., Weltmeisterschaft Garados 125 (204) 120 0,96
Gastrodon 112 (108+) 117 (120) 1,045
Markus S., Weltmeisterschaft Garados 100 (4) 154 (156+) 1,54
Ray R., Weltmeister Knakrack 116 (4) 130 (196) 1,121
Toler W., Weltmeister (Sr.) Kappalores 104 (108) 138 (44+) 1,33
Knakrack 119 (28) 127 (172) 1,067
Scott G., Weltmeisterschaft Seedraking 115 115 1
Kapoera 115 135 (36) 1,174
Abel S., Weltmeisterschaft Voltolos 96 (48) 113 (104) 1,177
William H., LCQ Raikou 95 120 1,263
Iksbat 100 100 1
Manoj S., Weltmeisterschaft Zapdos 119 (112) 136 (108+) 1,143
Mathias G., Autumn Friendly Gastrodon 102 (108) 132 (140+) 1,294
Arkani 101 (4) 101 (4) 1
Boreos 90 100 1,111
Ethan L., Autumn Friendly Yanmega 107 (4) 76 0,71
Voltolos 90 110 (76) 1,222
Joe P., Weltmeisterschaft Gastrodon 88 132 (236) 1,5
Rushan S., LCQ & AF Kangama 100 104 (28) 1,04
Togekiss 115 183 (252+) 1,59
Jumpei Y., Weltmeisterschaft Rotom-W 138 (88) 165 (180+) 1,196
Matt S., Fall Regionals Garados 99 127 (56) 1,283
Aaron Z., diverse Turniere Voltolos 90 145 (252+) 1,61
Hayden M., Fall Regionals Viridium 92 149 1,62
Ramoth 85 125 1,47
Sam H., Fall Regionals Turtok 120 125 1,042
Mamutel 100 80 0,8
Echnatoll 216 (252+) 126 (4) 0,583
Duy H., Fall Regionals Machomei 100 105 1,05
Demeteros 110 115 (120) 1,045
Oliver V., Fall Regionals Suicune 136 (4) 137 (12) 1,007
Zapdos 105 122 (96) 1,162
Zach D., Fall Regionals Hutsassa 101 (84) 134 (172+) 1,33
Apoquallyp 106 (128) 151 (104+) 1,42

Und da haben wir's bunt auf Weiß: Wer auf Psychoschock schwört, kann ja gar nicht dumm sein bei diesem Metagame! Insbesondere wenn man sich mal anguckt, wie die Werte so auf die Pokémon verteilt sind, fällt auf, dass die dicken grünen Zahlen hauptsächlich bei typischen Metagame-Pokémon auftauchen und die dicken roten, die ja klar für Psychokinese sprechen, eher mit zwei anderen „Klassen“ zu assoziieren sind: einerseits genau hauptsächlich eher exotische Pokémon und andererseits natürlich auch all jene, die ausgeglichene Verteidigungswerte haben – sind hauptsächlich direkt welche, die gleiche Basiswerte haben und einfach keine Fleißpunkte gekriegt haben, aber schon deutlich weniger exotisch. Die sind letztendlich auch der Grund, warum Psychokinese nach wie vor nicht abzuschreiben ist.

Ich selbst etwa bereue es nach dieser mehr oder weniger empirischen Untersuchung überhaupt nicht, dass ich das ganze Jahr Psychokinese auf meiner Cresselia gespielt hab, denn die war sowieso nicht dafür gedacht, um hohen Schaden auszuteilen, sondern einfach nur um nicht total hilflos dazustehen und ansonsten Zeug den Gnadenstoß zu geben oder es fürs Team zu präparieren. Sprich, wenn man nur random Ziele treffen will, find ich Psychokinese immer noch besser – die 10 zusätzlichen Punkte bei der Stärke fallen nur wenig auf bei allen Sachen, die nicht fett markiert sind, aber den Nebeneffekt gibt es ja auch noch.

Gehen wir nun aber auf die offensive Seite, dann gibt es verdammt gute Gründe für Psychoschock (außer man heißt Zytomega und trägt Leben-Orb), denn da soll es ja nunmal nicht mehr darum gehen, einfach nur irgendwie Schaden zu machen, sondern da geht es um OHKOs gegen Schwächen und 2-3HKOs gegen neutrale Ziele. Dank dem Draco-Meteor-Wahnsinn (aber auch Bedroher natürlich) hat das Metagame eine auffällige Neigung zur Spezial-Verteidigung erfahren, und sowas wie Ramoth beispielsweise treibt's dann gern mal auf die Spitze mit der Imbalanciertheit.

So, also was ist dann überhaupt meine Kernaussage... Meine Kernaussage ist, dass Psycho immer noch ein beschissener Angriffstyp ist. Auf Deutsch: Mir sind bei der Datenerhebung teils Teams mit fünf (!) Psycho-Resistenzen begegnet... und die Schwächen kann jeder selbst nachzählen. So viel zur ironisch gemeinten Konklusion. Nun etwas ernster: Es gibt kein klares Richtig oder Falsch. Die Mathematik kann dabei helfen, die Gretchenfrage für sein Psycho-Pokémon zu entscheiden, aber als allerhöchstes Kriterium sehe ich die persönlichen Erfahrungen. Damit räum ich das Feld einmal mehr für meinen neuen Partner.

Dr. med. Allje verschreibt

  • Allgemeine Faustregel gegen ein festes Ziel:
    Psychoschock > Psychokinese gdw. SpVer / Ver >> 1,125.
  • Psychokinese steht für Konstanz; sie gewinnt und verliert gegen beliebige Ziele das Wenigste und ist mit ihrem Nebeneffekt auch gegen (speziell-)defensive Ziele fern von nutzlos.
  • Psychoschock kann eine lohnende Metagame-orientierte Entscheidung sein, aber bringt auch das Risiko mit sich, gegen manche Leute (meistens jene mit offensiveren Teams) vollkommen unterlegen zu sein.
  • Beide Attacken harmonieren mit Teams, die zum Spezial-Angriff geneigt sind: Psychoschock greift die seltener angefasste physische Verteidigung an und Psychokinese macht mit Glück die anderen Spezial-Angreifer noch mächtiger.
  • Für physisch geneigte Teams auf der andern Seite sieht Psychokinese auf dem Papier einladender aus, denn die physische Verteidigung wird wahrscheinlich schon oft genug angegriffen.
  • Wenn wir von Mewtu sprechen, gewinnt Psychostoß ohne weitere Diskussion.

Der Friede sei mit Euch.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen